It´s
only Rock n Roll…. Nach der Probe sitzen die drei
Musiker noch zusammen bei einem Teller „Purple Haze“. So heißt der Rote
Bete-Eintopf hier im Wedding. Die Farbe stimmt schon mal. „Es schmeckt auch wie
Jimi“ sagt Jimi Tenor. Und meint natürlich Jimi Hendrix. Mit guten Gitarristen
kennt er sich aus. Hier am Tisch etwa sitzt auch einer: Kalle Kalima. Die
beiden kennen sich noch aus jenen Jahren, als Jimi Tenor mit der „Kabu Kabu“-
AfroBeat-Bigband in die „4th Dimension“ und weiter vorgestossen war. „Aber da
haben wir vor allem Jimis Stücke gespielt“ erzählt Kalle Kalima. Im Zuge der
Eurokrise sei es schließlich schwierig geworden, mit einer 14-köpfigen Band auf
Tour zu gehen. „Jimi hatte acht Jahre lang Gigs für uns besorgt. Jetzt war ich
dran, eine Band zu gründen, in der er mitspielen könnte. Und ich dachte, wir
könnten dann auch ein paar Sachen von mir spielen.“ Also schlug Kalle Kalima
ein gemeinsames Trio vor: die „Tenors of Kalma“. „Ich dachte dabei a ein Electro-Projektn,
aber Jimi wollte frei improvisierte Musik machen. Also jeder genau das, was wir
sonst nicht machen.“ Vor drei Jahren trafen sie sich dann in einem Proberaum in
Helsinki mit dem Schlagzeuger Joonas Riipa zu einer ersten Probe. „Wir hatten
zwei Stücke: »The Missing Page 1964«, das hatte Jimi schon früher mal als Gast
bei meinem Trio »Klima Kalima« gespielt. Und Kalevala.“ Das ist eigentlich ein
alter finnischer Mythos, jetzt zusammengefasst in vier Akkorden. Auf die erste
Probe folgte der erste Auftritt. Und dann ging es immer weiter in Finn- und
Estland, auf dem Jazzfestival in Tampere, beim Elbjazz und auch in Rockschuppen
in Birmingham, im legendären Golden Pudel Club und im Berliner Berghain. In den
Presseberichten standen Worte wie „psychedelisch“ und „Kraftwerk trifft Sun Ra“
und genau so waren die „Tenors Of Kalma“ dann auch bald auf ihrer ersten CD
„Electric Willow“ (enja/yellowbird) zu hören.
Aber „Nach der CD ist vor der CD“ lautet ein
altes Musiker-Sprichwort und mit alten Sprichworten ist nicht zu spaßen.
Deshalb treffen sich Kalle, Jimi und Joonas ja gerade zum Proben in Berlin und
bald noch mal in Helsinki. Die neuen Stücke kommen noch rockiger rüber, nach
vier Tagen im Probenraum. „Shit, das klingt ja wie Police!“ lacht Jimi Tenor,
als „(what used to be) Mona“ ausklingt. Nur, dass Joonas aus dem Stadt gleich
doppelt so viel Wucht aus dem Schlagzeug holt, als man sich in den 80er Jahren
vorstellen konnte. Und das einzige, was hier an den glattproduzierten Edel-Reggae/Punk
von damals erinnert, ist Tenors lyrisches Flötensolo, neben dem Kalimas Gitarre
gleich doppelt gezerrt wirkt. „Ich hab die Wahl“ sagt Jimi „spiele ich mit den
beiden, oder spiele ich gegen ihren Sound an? Ich nehme wohl oft das »Dagegen«,
schätze ich…“ und Joonas stimmt zu: „Es geht um Kontrast: ich hab mal von einem
finnischen Komponisten gehört, der hat ein Stück für sechs Harley Davidsons und
einen Eimer Wasser geschrieben. Und obwohl die Motorräder voll aufgedreht
waren, war das Wasserplätschern beinahe lauter. Einfach weil’s anders war!“ Und
Kalle stimmt ihm zu: „Wir wollen ja auch unsere ZuhörerInnen überraschen. Man
soll nicht vorhersehen können, was als nächstes kommt. Nicht, dass wir ständig
komplett die Richtung wechseln, aber wir halten die Leute unter Spannung. Live
haben wir ja noch mehr Electro-Geräte dabei, du weißt nicht immer, wo der Sound
herkommt. Von der Flöte? Aus einem Synthi? Von der Gitarre?“ „Das mag ich
persönlich am meisten“ sagt Jimi „wenn ich in ein Konzert gehe und das spannend
ist“. Und Joonas schlägt vor „Wir sollten öfter von einem Song in den nächsten
überleiten, so James-Brown-mäßig!“
Von spannenden Gegensätzen erzählt auch der düstere,
Zeitlupen-Rockgroove in „Burning-ham“. Dieses Stück flog den „Tenors Of Kalma“
zu wie eine gebratene Taube, als sie auf Tournee die britische Industriestadt
Birmingham besuchten. Das Konzert vor 3.000 Leuten war großartig, aber dann
ging es zu einem Hostel im Stadtzentrum. „Das war früher ein Armenhaus gewesen.
Winzige Zimmer, aber hunderte davon“ staunt Kalle heute noch. „Und das
Stadtzentrum ist total abgerockt. Überall Junkies und es sieht aus wie nach
einem Atomkrieg. So kamen wir auf »Burning-ham«“. „Aber dann fanden wir da
Ping-Pong-Tische mitten in der Stadt!“ rettet Jimi die Stimmung. „Die sind
öffentlich. Und da ist eine Kiste an der Seite, da waren sogar Schläger drin.“
Also haben sie Bälle gekauft und jeden Abend gespielt, um nicht in die kleinen
Zimmer zu müssen. „Einmal kamen so russische Jungs auf uns zu“ erzählt Kalle. „Aber
die haben nur gefragt, ob sie einen Ball leihen können. Und sie haben ihn auch
zurück gebracht! Das war echt nett, aber auch ziemlich seltsam“.
„We should be careful“ singt Jimi Tenor beim
„Jungle Blues“, denn im Urwald laufen auch Raubtiere herum. Und Joonas malt mit
krachendem Up-Tempo ein deutliches Bild von den Konsequenzen. Etwas lyrischer
ist dann „Kalevala“, jenes mythologische Instrumental, das schon bei der ersten
Probe auf dem Programm stand. „Wir spielen das jetzt seit fast vier Jahren“ sagt
Kalle „und es wechselt ständig seine Gestalt. So langsam kommen wir zu dem
Punkt, wo wir wissen, wie das zu spielen ist. Dabei hat es nur vier Akkorde.“
Und Joonas ergänzt „Ich halte es immer so offen wie möglich, wir improvisieren
die ganze Zeit. Das heißt, wir kennen die Stücke und können sie auch tight
abliefern. Aber wir kennen sie auch gut genug, dass wir sie dann wieder
ausdehnen können, wenn wir wollen.“ Denn immerhin gibt es auch Konzerte, bei
denen die Leute angefangen haben, zu tanzen. „Die müssen betrunken gewesen
sein“ lästert Jimi. „Nein, wirklich, da waren junge Mädchen, die tanzten!“
„Aber wir sind ja keine Zwanzig mehr“ sagt Joonas „und haben als Musiker
eigentlich den Snobismus, dass wir sagen: Das ist unsere Musik, wir spielen
nichts anderes! Aber wir sind auch Improvisatoren, die dem Moment folgen. Wenn
Leute tanzen, dann lenken wir unsere Musik vielleicht in diese Richtung…“
Ungefähr bei 40% liege der Anteil an
Improvisation in jedem einzelnen Stück, behauptet Jimi Tenor. „Und vielleicht
sollte das mehr sein. Wir streiten da ständig drüber. Aber es wird ja noch mehr
Songs geben.“ Wie zum Beispiel „Jade Rabbit“ über den chinesischen Mond-Roboter
Yutu und seinen einsamen Forscher-Job auf dem Erdtrabanten. Einstudieren können
die »Tenors Of Kalma« diese neuen Songs im schallgeschützen Proberaum. Aber so
richtig bis an die Grenzen bringen sie die Musik am liebsten direkt vor
Publikum. Die nächsten Tour-Termine werden schon wieder vorbereitet. Am besten
passen würde es im Frühsommer, aber erst nach der großen Echo Jazz-Gala in
Hamburg. Denn da müssen sie hin. Kalle ist mit den „Tenors of Kalma“ nominiert.
Tobias Richtsteig